Sie mach(t)en sich auf den Weg – Eliena erzählt von ihrer Flucht und ihrer Ankunft

19 Mai 2022

Vor wenigen Wochen noch saß die 13-jährige Eliena Userdiva in ihrer Klasse in der Ukraine – jetzt besucht sie die 8. Klasse der Gesamtschule Bad Driburg. Die Geschichte einer Ankunft.

Es ist mittlerweile eine Woche her, seit dem Eliena in ihrer neuen Klasse angekommen ist. Dass sie gedanklich noch in ihrer Heimat, in Winnyzja, einer ca. 370000 Einwohnerstadt südwestlich von Kiew weilt, wird in dem Gespräch schnell deutlich. Der Weg nach Bad Driburg war prägend und so erzählt die junge Frau in einem Interview sehr detailreich von ihrer mehrtägigen Reise nach Bad Driburg.

Es war ein Tag wie jeder andere, erzählt sie, es war Donnerstag, der 24.02.22. Eliena macht sich morgens bereit für die Schule, geht zur nahegelegenen Bushaltestelle und wartet auf den Bus. Plötzlich ertönt Sirenenalarm, der sich nach einem kurzen Moment der Stille wiederholt. Das Geräusch zunächst nicht zuordnen könnend, verspürt Eliena das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Ein Rettungswagen fährt mit Martinshorn vorbei. Eliena versucht per Handy ihre Mutter zu erreichen, der Kontaktversuch scheitert, es hebt niemand ab. Um sie herum beobachtet sie Menschen, die allesamt nervös auf ihren Smartphones tippen und versuchen zu telefonieren. „Das war der erste Moment, in dem Panik in mir hochstieg.“ Sie läuft nach Hause, wo sie mit ihrem 10-jährigen Bruder, ihren 2 jüngeren Schwestern (8 und 4 Jahre alt), ihrer Mutter und ihrem Hund wohnt. Gemeinsam recherchieren sie in den Sozialen Medien, um an Informationen zu gelangen. Einen Fernseher besitzen sie nicht. Schließlich erfahren sie von dem Kriegsbeginn in ihrem Land und einem nahegelegenen Bombenanschlag. „Das war der Moment, in dem wir entschieden haben, raus auf´s Land zu meiner Oma zu fahren“, schildert Eliena ihre Erinnerungen. 5 Tage bleiben sie bei ihrer Großmutter. Es herrschen Ausgangssperren, das Licht soll nach Möglichkeit bei Dunkelheit ausgeschaltet bleiben. „Mein Onkel drängte uns schließlich zur Ausreise. Er arbeitet bei der Armee und wusste immer schon mehr als alle anderen, das war gut“, erzählt Eliena mit nervöser, aber leiser Stimme. Zunächst versuchten sie das Land mit einem PKW zu verlassen, was aufgrund von kilometerlangen Staus scheiterte. Schließlich gelang es Elienas Familie mit organisierten Bussen bis nahe der polnischen Grenze zu kommen.  Auf die Frage, warum sie nur bis in die Nähe kamen, antwortet Eliena nicht. Sie erzählt von einem langen Fußmarsch, mitten in der Nacht, mit ihren Geschwistern, ihrer Großmutter und ihrem Hund. „Irgendwann hielt ein Bulli neben uns. Ob es sich dabei um einen freiwilligen Hilfsdienst handeln würde? Eliena zuckt mit den Schultern. „Es war eher eine Zufallsbekanntschaft, glaube ich.“ In Polen angekommen, erreicht sie die Info, dass das Land mit Flüchtlingen überfüllt sei. „Ein Mann sagte uns, dass wir dort nicht bleiben könnten, dabei wären wir gerne dort geblieben“, erzählt die 13-jährige Jugendliche weiter. „Die Menschen dort waren alle sehr herzlich und nett zu uns“, fügt sie mit einem Lächeln im Gesicht hinzu.  „Dann wussten wir zunächst nicht mehr, wie oder wohin es weitergeht. Ich hörte irgendwann das Wort „Berlin“, so Eliena weiter. „Einen Tag später organisiert ein „Bekannter“, wie ihn Eliena nennt, in Berlin einen Transport nach Dresden, von dort geht es weiter in die Hauptstadt, zu einem 7-tägigen Stopp bei einer ukrainischen Frau, einer jungen Studentin und Fotografin, die wiederum Kontakt nach Bad Driburg hat und eine Möglichkeit zur Unterbringung organisiert. „Wir kannten Bad Driburg natürlich nicht und wussten auch nicht, wo die Stadt liegt. So wurden  wir von freiwilligen Helfern begleitet, die uns mit dem Zug von Berlin, über Paderborn bis nach Bad Driburg brachten.“  Auf ihrem Handy wischt sie durch Fotos, die von einer anderen Zeit erzählen, um eine ungefähre Dauer der Reise zu rekonstruieren. „Am 13.03. kamen wir hier an“, fügt sie hinzu. Seitdem wohnt die junge Familie in einem Ferienhaus. Auf die Frage, welches ihre 3 größten Wünsche seien, antwortet das junge Mädchen bestimmend und selbstbewusst: „Ich möchte, dass der Krieg gestoppt und alles wie vorher wird. Ich möchte meine Freunde wiedersehen, ich möchte alle lebend wiedersehen und die Verantwortlichen sollen bestraft werden.“ Für ihre Zeit in der neuen Schule hat Eliena einen Wunsch:„(…) kein Mobbing und eine herzliche Aufnahme.“ Bisher sei sie zufrieden und glücklich hier.